Hilfe beantragen

Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

  1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
  2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.

Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

§ 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

  1. eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
  2. eines Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
  3. eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt, einzuholen.

Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden.

Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

  • in ambulanter Form,
  • in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, …erbracht. (vgl. §35a SGB VIII)

Indikatoren:

Um festzustellen, ob und welchem Umfang Hilfe zur Erziehung nach §35a geeignet und notwendig ist, bedarf es einer umfassenden Analyse der psychosozialen, personalen und ökonomischen Struktur des jeweiligen Kindes/Jugendlichen und des sozialen Umfeldes durch das Jugendamt. Auch wenn diese unterschiedlichen Perspektivbetrachtungen nicht in allen Punkten übereinstimmen, sind sie als Entscheidungsgrundlage für eine systemische und umfassende Betrachtung der gesamten Situation unabdingbar.

Anspruchsberechtigt ist der junge Mensch, der die Anspruchsvoraussetzungen nach § 35aAbs. 1 SGB VIII erfüllt. Vertreten wird das Kind oder die / der Jugendliche durch seine Personensorgeberechtigten. Gemäß § 36 Abs. 1 SGB I können betroffene Jugendliche ab Vollendung des 15. Lebensjahres eigenständig einen Antrag stellen.

Eine fachärztliche / gutachtliche Stellungnahme, die Aussagen hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit trifft, ist gemäß § 35a Abs. 1a SGB VIII in jedem Fall notwendig und vom Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe einzuholen.

Für junge Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen sowie für mehrfach behinderte junge Menschen ergibt sich eine Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Eingliederungshilfe (Sozialamt).

Liegt bereits eine fachärztliche / gutachterliche Stellungnahme vor, ist diese auf ihre Aktualität zu prüfen. Zwar gibt es hierbei keine gesetzlichen Vorgaben, jedoch ist aufgrund der kindlichen Entwicklung davon auszugehen, dass eine Stellungnahme, die zwei Jahre oder älter ist, keinesfalls den aktuellen Entwicklungsstand wiedergeben kann. Je jünger das anspruchsberechtigte Kind ist, desto eher könnte eine aktuelle Stellungnahme notwendig werden. Abzuwägen ist ebenfalls, ob es sich um einen Erstantrag handelt oder der betroffene junge Mensch bereits bekannt ist. Auch die Diagnose kann einen Hinweis darauf geben, ob eine erneute Begutachtung notwendig ist. Bei bestimmten Störungsbildern, z. B. Autismus, ist prognostisch von eher geringen Veränderungsprozessen auszugehen. Wogegen etwa bei emotionalen Störungen wie z. B. einer leichten depressiven Episode, von möglichen schnelleren Veränderungen ausgegangen werden kann.

Der zuständige SA im Jugendamt fordert von allen an der Hilfe beteiligten Personen/Institutionen Stellungnahmen zur Entscheidungsfindung ab (Schule, Kindergarten, Eltern und ggf. Sonderpädagogischer Dienst).

Der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe ist federführend in der Entscheidung, welche Hilfe notwendig und geeignet ist, um der bestehenden Teilhabebeeinträchtigung entgegenzuwirken.